Sprache vermessen – Eine Übersicht gängiger Qualitätsmetriken für PROSA-Anforderungen (inhaltsbasierte Metriken)
Nachdem Sie im ersten Teil der Blogserie „Nur qualitativ hochwertige Anforderungen erzeugen hochwertige Produkte“ bereits die Bedeutung guter Anforderungen für den Entwicklungsprozess erfahren haben und Ihnen einige einfache Kennzahlen für die Qualitätsbeurteilung vorgestellt wurden, werden im heutigen Beitrag – wie versprochen – einige der wichtigsten Qualitätsmetriken vorgestellt, mit deren Hilfe der Ist-Zustand der Spezifikationsqualität festgestellt werden kann.
Diese Qualitätsmetriken lassen sich in zwei Bereiche einteilen:
- Metriken zur Beurteilung des Inhalts (= inhaltsbasierte Qualitätsmetriken)
- Metriken zur Beurteilung der Verwaltung (= verwaltungsorientierte Qualitätsmetriken)
Um den Umfang einzelner Blogbeiträge nicht zu sprengen werden diesem Thema zwei Beiträge gewidmet, beginnend mit den inhaltsbasierten Qualitätsmetriken.
Metriken also, die Kennzahlen zur Beurteilung der sprachlichen Formulierungen und des Informationsgehalts einer Anforderungsspezifikation bzw. Einzelanforderung erzeugen.
Die bereits im ersten Blogeintrag und dem weiterführenden Dokument vorgestellten Metriken „Eindeutigkeit“ und „Lesbarkeit“ sind der Prüfung des Inhalts zuzuordnen.
Einige weitere, der wichtigsten Kennzahlen für die Qualität von Anforderungen werden im Folgenden vorgestellt.
Klassifizierbarkeit
Die Metrik Klassifizierbarkeit misst den Anteil an Anforderungen einer Spezifikation, deren rechtliche Verbindlichkeit eindeutig gekennzeichnet ist.
Ziel dieser Messung ist es also, ein einheitliches Verständnis dafür zu schaffen, welche Anforderungen besonders wichtig und welche nur „nice-to-have“ sind. Um dies gewährleisten zu können, muss sichergestellt werden, dass möglichst alle Anforderungen mit einer eindeutigen Kennzeichnung der rechtlichen Verbindlichkeit versehen sind. Dies kann zum Beispiel dadurch realisiert werden, dass essentielle Funktionalitäten mit dem Begriff „muss“ formuliert werden.
Der Prüfer muss in diesem Fall nicht zwingend ein Experte sein, da nur die Verwendung bestimmter Schlüsselworte geprüft werden muss. Dies lässt sich mit Hilfe von Tools sogar im Voraus erzwingen.
Notwendigkeit
Die Kennzahl Notwendigkeit misst den Anteil an unnötigen Anforderungen einer Spezifikation. Eine Anforderung wird hierbei als unnötig gewertet, wenn sie weder eine geforderte Funktionalität des Zielsystems, noch eine Anpassung externer Systeme, die der Kunde explizit wünscht, darstellt.
Ziel dieser Metrik ist es, möglichst keinen Aufwand für unnötige Realisierungen zu investieren.
Bei dieser Prüfung ist es besonders wichtig, einen Experten mit einer detaillierten Vorstellung für das Zielsystem als Prüfer zu verwenden, denn er entscheidet, ob eine Anforderung notwendig ist oder nicht, nachdem er sie gelesen hat.
Wurde diese Entscheidung getroffen, erhält man durch Verwendung der Formel den Erfüllungsgrad der Notwendigkeit der Spezifikation.
Vollständigkeit
Die Vollständigkeitsmetrik zeigt dem Requirements Engineer, wie viel Prozent seiner Spezifikation komplett ausformuliert sind.
Ziel dieser Metrik ist es, den Aufwand an Arbeit, der noch in die betrachtete Spezifikation gesteckt werden muss, abzuschätzen. Um dies zu erreichen, müssen mehrere Bestandteile der betrachteten Anforderungen geprüft werden, indem die Anforderung von einem Prüfer gelesen werden, der sprachliche Effekte im Text finden kann.
Die Regeln, nach denen geprüft werden soll, müssen in Abhängigkeit von den Projektrandbedingungen festgelegt werden. Allerdings können wir Ihnen nahelegen, die wichtigsten sprachlichen Effekte des SOPHIST-REgelwerks herzunehmen. Die Wichtigsten deshalb, da der Aufwand definitiv zu groß wäre, alle Regeln zu prüfen.
Besonders zu empfehlen sind die Prüfung von
- Prozessen, die als Vollverben ausgedrückt werden sollten
- fehlenden Zusatzinformationen zum Prozesswort
- fehlenden Mengen- und Häufigkeitsangaben
- fehlende Bedingungen
Wobei Regel(i) für die Anzahl an Anforderungen steht, die gegen die jeweilige Regel verstoßen.
Konsistenz
Wie bei der Metrik der Notwendigkeit, ist auch für die Konsistenz die Beurteilung durch einen – oder mehrere – Experten zu empfehlen.
Diese sollten darüber entscheiden, ob der Inhalt einer Anforderung frei von Widersprüchen ist.
Ziel der Prüfung auf Konsistenz ist es, unmissverständliche Anforderungen zu erhalten, und somit das Risiko von Fehlimplementationen zu minimieren.
Leider ist es uns nicht möglich im Rahmen dieses Beitrags sämtliche inhaltsbasierte Metriken vorzustellen. Sollten Sie dennoch Interesse an einer detaillierten Beschreibung weiterer Metriken haben, finden Sie diese in der aktuellen Auflage unseres Buches „Requirements-Engineering und –Management (5. Auflage)“.
Im dritten Teil der Blogserie werden die wichtigsten Vertreter der Metriken zur Prüfung der Handhabung und Verwaltung von Anforderungen und Spezifikationen vorgestellt.