Für „richtige“ Anforderungen ist die Verbindlichkeit typischerweise in einfacher Art und Weise festzulegen: In jedem Satz, in dem beschrieben ist, dass das System etwas tun soll wird ein Hilfsverb muss, sollte, shall, should, o.ä. integriert. Die Abgrenzung des verbindlichen Teils einer funktionalen oder der meisten nicht-funktionalen Anforderungen gegenüber dem Geschäftsprozess, den Nachbarsystemen oder genannten Beispielen ist damit kaum ein Problem.
Wie sieht es jedoch mit der Verbindlichkeit eines Glossareintrags aus? Sind diese überhaupt verbindlich oder nur nettes Beiwerk, das man vor dem Hintergrund einer juristisch verbindlichen Spezifikation auch gerne entfallen lassen könnte?
Schauen wir uns folgenden Glossareintrag an:
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Die Adresse eines Kunden muss mittels der folgenden Bestandteile beschrieben werden:
– Straßenname (z. B. „Vordere Cramergasse“),
– Hausnummer (z. B. „11 – 13“),
– Adresszusatz wie z.B. Gebäudenummer, Stockwerk, Raumnummer, etc. (z.B. „2. Stock“)
– PLZ (z.B. „90478“),
– Ort (z.B. „Nürnberg“).
Die Postleitzahl kann dabei auch entfallen, da sie sich aus Straße, Hausnummer und Ort ergibt.
Der Adresszusatz wird benötigt, um die direkte und effektive Zustellung der Leihobjekte für unsere Austräger zu ermöglichen. In vielen Fällen sind unsere Austräger bisher herumgeirrt, um den Kunden zu finden.
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Meine (beiden) Meinung(en) dazu
(1) Für den verbindlichen Teil eines Glossareintrags kann, finde ich, nur der beschreibende Teil verwendet werden und nicht der erklärende Teil. D. h. für das obige Beispiel: Dieser Glossareintrag ist so formuliert, dass eine Adresse eines Kunden beschrieben wird durch die Merkmale Str., H.-Nr., Zusatz, PLZ und Ort. Und genau mit diesen beschreibenden Merkmalen muss der Realisierer eine Adresse im System umsetzen.
Der erklärende Teil, weswegen es beispielsweise einen Adresszusatz gibt, jedoch ist nicht umsetzungs- oder testrelevant und kann daher für ein verbindliches Glossar weggelassen werden.
(2) Für das Verständnis des Lesers ist es, meine ich, aber sehr wichtig zu erklären, was sich hinter gewissen Begriffen „versteckt“ oder weswegen es z. B. den obigen Adresszusatz gibt. Bei uns Systemanalytikern gibt es typischerweise als zu erreichende Qualitätskriterien für Anforderungen Punkte wie Eindeutigkeit, Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit, usw. Teils wird auch die Verständlichkeit mit aufgezählt, jedoch in vielen Fällen im Sinne „Können alle Leser die Notation z. B. in Form eines Sequenzdiagramms verstehen/lesen?“. Meiner Meinung nach sind aber auch Hintergrundinformationen (das Warum!) sehr wichtig, um ein Verständnis rund um die Anforderungen und das System zu fördern. Diese werden vielfach vergessen und manchmal ein Glossar nur in Form eines Klassendiagramms ohne weitere Erklärungen als Glossar „umdefiniert“.
Wenn man sich die Bedeutung des Wortes „Glossar“ betrachtet, wird klar, dass genau diese Erklärungen der ursprüngliche und eigentliche Grund für die Erstellung von Glossaren war [siehe Duden]:
Glossar: <gr.-lat.> 1. Sammlung von Glossen. 2. Wörterverzeichnis mit Erklärungen.
Glosse: <gr.-lat.; Zunge; Sprache> 1. In alten Handschriften erscheinende Erläuterung eines der Erklärung bedürftigen Ausdrucks. […]
=> Für mich bedeutet das: Ich setze auch für Glossareinträge die Schlüsselwörter der juristischen Verbindlichkeit ein, aber nur genau für die Teile, die genau so umzusetzen und zu testen sind. Ich definiere die Begriffe mit den beschreibenden Merkmalen, aber führe ebenso als nicht verbindliche Bemerkung wichtige erklärende Hintergründe auf (und die letzteren finde ich genauso wichtig für eine gute Spezifikation…).
Wie sind denn Ihre/Eure Meinungen dazu?