Requirements-Engineering meets Medizin!
„Na los, sei ein bisschen kreativ und lass dir mal schnell was einfallen!“ Diesen Satz haben Sie wahrscheinlich alle schon einmal gehört. Sei es in Ihrem Projektalltag oder auch im privaten Kontext. Unsere Gastautorin Inge Kreß ist Ärztin für psychosomatische Medizin und beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema „Kreativität“. Was steckt eigentlich hinter Kreativität und können wir tatsächlich „mal eben schnell“ kreativ sein?
In der folgenden zweiteiligen Blogserie widmet sich Inge Kreß diesen Fragen – Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!
P.S.: Sie möchten mehr über das Thema erfahren und mit Inge Kreß darüber diskutieren? Inge Kreß wird auf den SOPHIST DAYS 2016 einen Vortrag zu diesem Thema halten! Werfen Sie doch mal einen Blick auf unsere Konferenzhomepage: www.sophistdays.de
Kreativität: eine neuropsychologische Annäherung (Teil 1)
Kreativität ist ein vielschichtiger Begriff, der je nach Kontext unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen kann.
Eine Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Begriffsauffassungen ist jedoch, dass sie alle die Schaffung von etwas Neuem implizieren. Weiterhin hat der Begriff, zumindest in unserer aktuellen Gesellschaft, eine überwiegend positive Konnotation, z.B. assoziieren wir ihn mit Innovationen, Ideen, neuen Ausdrucksformen, Methoden oder Techniken, die unser Leben bereichern.
Wir erleben Kreativität also als nützlich, und entsprechend versuchen wir sie in ihren verschiedenen Aspekten und Erscheinungsformen zu fördern. An vielen der daraus entstehenden Maßnahmen wird jedoch deutlich, dass die neuropsychologischen Hintergründe oft unbeachtet oder unverstanden bleiben.
Diese zweiteilige Blogserie beschäftigt sich mit den Gehirnvorgängen, die einer Handlung vorausgehen, die im Nachhinein als “kreativ” bezeichnet wird. Damit wird Kreativität nicht als singuläres Ereignis verstanden, sondern als Prozess. Dieser Prozess der Kreativitätsleistung soll im Weiteren aufgeschlüsselt werden.
Hierfür ist zunächst ein reduktionistisches Modell der Gehirntätigkeit hilfreich:
Ein Reiz aus der Umwelt oder dem Körper geht in das Gehirn ein, dieses verarbeitet den Reiz, und generiert eine Reaktion.
Verarbeitung des Reizes bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Reiz zunächst erkannt und eingeordnet wird (z.B. “sich näherndes rundes Objekt ist wahrscheinlich ein Fußball”). Anschließend folgt eine Bewertung hinsichtlich der Relevanz des Reizes für den Organismus (z.B. “Ball geht an mir vorbei, nicht wichtig” vs. “das ist meine Torchance, ich kann es allen zeigen!”). Ein Maß für die Relevanz eines Reizes für den Organismus ist dabei die Art und Stärke der emotionalen Reaktion (z.B. Freude: “super, ein Spiel”, oder Angst: “oh je, der Ball trifft mich”, Ärger: “wer schießt hier auf Leute?!”, usw.). Wurde der Reiz eingeordnet und bewertet, wird eine möglichst situationsangemessene Reaktion ausgewählt (z.B. ducken, kicken, köpfen, …).
Bei der Generierung einer Reaktion sind zufällige, bisher nicht vorhandene Verknüpfungen zwischen Nervenzellen möglich, sodass eine neue Verhaltensvariante entsteht, z.B. wird der Fußball mit dem linken, statt normalerweise mit dem rechten Fuß gespielt. Führt ein derartiges neues, zufällig entstandenes Reaktionsmuster zu einem Erfolg, wird es vom Gehirn abgespeichert, um dann in einer folgenden, ähnlichen Situation als schon vorgefertigter Handlungsentwurf wieder zur Verfügung zu stehen.
Mit jedem neu abgespeicherten Reaktionsmuster steigt dann wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass es in einer zukünftigen Situation erneut zu sinnvollen Verknüpfungen zwischen diesen Mustern kommt.
Durch entsprechend häufiges Training wird beispielsweise der motorische Kortex (der für Bewegungen zuständige Gehirnteil) eines professionellen Fußballspielers deutlich mehr Bewegungsvarianten für die “rundes Objekt nähert sich schnell”-Situation zur Verfügung haben, als der eines Hobby-Sportlers.