In unserem letzten Blogbeitrag zu unterstützenden Techniken für die Ermittlung von Anforderungen haben wir uns mit CRC-Karten auseinander gesetzt. Heute beschäftigen wir uns mit einer weiteren Karten-Technik, dem Card-Sorting. Diese Technik hat ihren Ursprung im Usability-Engineering.
Dabei handelt es sich um eine unterstützende Technik, die hauptsächlich zu Priorisierungs- und Strukturierungszwecken eingesetzt wird. Das Interessante an dieser Technik ist, dass sie ganz gezielt Anforderungen an die Benutzerfreundlichkeit (Usability) erhebt. Sie ist zum Beispiel dafür geeignet, Anforderungen an die Menüstruktur von Applikationen bzw. die Navigationsstruktur von Webseiten zu ermitteln.
So funktioniert das Card-Sorting:
Um das Card-Sorting sinnvoll durchführen zu können, benötigt man eine repräsentative Gruppe von Stakeholdern und zusätzlich einen Moderator.
Zunächst werden die im Vorfeld (z.B. durch Interviews oder andere Ermittlungstechniken) ermittelten Inhalte oder die Navigationsstruktur einer Webseite oder Applikation in Informationseinheiten (Items) zerlegt. Diese werden dazu in der Regel auf Karteikarten geschrieben – daher der Begriff „Card Sorting“.
Nun kommen die Stakeholder ins Spiel: Sie sollen die Begriffe auf den Karten nach wahrgenommener Ähnlichkeit sortieren. Daraus entsteht nach und nach eine optimierte Seitenstruktur aus Nutzersicht (Im Usability-Sprachgebrauch das sog. „Mentale Modell“). Während des Vorgangs werden immer wieder Begriffe diskutiert. Das führt dazu, dass die Stakeholder die Begriffswelt der Karten (und somit der Anforderungen) in Frage stellen. Diese Begriffe müssen also weiter geklärt und genauer definiert werden. So können aus dem Card-Sorting neue oder genauere Glossareinträge entstehen. Auch inhaltliche Lücken oder Unklarheiten bei den Anforderungen können sich beim Card-Sorting auftun. Falls Karten sich nicht mit anderen Karten in Beziehung setzen lassen, könnte es sein, dass inhaltlich noch nicht alle Anforderungen bekannt sind. Gelegentlich kommt es auch vor, dass Stakeholder Inhalte vermissen, die noch nicht als Items vorliegen und so weitere Anforderungen ans Tageslicht kommen.
Bei der Durchführung des Card-Sorting kennt das Usability-Engineering folgende Varianten:
Ausführung 1:
- Anzahl und Bezeichnung der Oberbegriffe werden durch den Moderator vorgegeben
Ausführung 2:
- Anzahl der Oberbegriffe werden durch den Moderator vorgegeben, jedoch nicht ihre Bezeichnungen
Ausführung 3:
- Weder Anzahl noch Bezeichnungen der Oberbegriffe sind vorgegeben
Wenn wir das Card-Sorting im Requirements-Engineering zur Ermittlung von Anforderungen an die Benutzerschnittstelle einsetzen, sollte die dritte Variante gewählt werden, um die Anforderungen der Stakeholder nicht unnötig vorwegzunehmen.
Dass diese Technik ebenfalls bei der Konsolidierung von Anforderungen verwendet werden kann, sieht man bei einer einfachen Abänderung des Vorgehens:
Das mehrstufige Card Sorting.
Wurden die Oberbegriffe von einer Gruppe von Stakeholdern festgelegt, kann die so erhaltene Struktur in einem zweiten Durchgang mit weiteren Stakeholdern überprüft werden. Somit überprüft eine Gruppe die Ergebnisse der anderen Gruppe. Dies kann natürlich mit mehreren Gruppen wiederholt werden. Iteration um Iteration entsteht damit eine konsolidierte Struktur.
Unsere nächste unterstützende Technik führt uns weg von Karteikarten hin zu sichtbaren und erlebbaren Anforderungen: wir werden uns mit Prototypen als Unterstützungstechnik bei der Ermittlung von Anforderungen befassen.