Prozess zur Qualitätssicherung im Requirements Engineering durch den Einsatz von Qualitätsmetriken
In den vorangegangenen Beiträgen dieser Blogserie sind wir auf den Nutzen von Qualitätsmetriken eingegangen und haben Ihnen einige nützliche Metriken vorgestellt, mit denen Sie die Qualität Ihrer Spezifikationen messen können.
Allerdings stellt die Kenntnis darüber, wie bestimmte Metriken einzusetzen sind, noch keinen wirklichen Nutzen für Ihre Projekte dar. Der Benefit ergibt sich erst durch das Zusammenspiel zahlreicher Vorbereitungen, sowie Tätigkeiten während der Durchführung und der Nachbereitung einer Qualitätsmessung mit Metriken. Diese haben wir für Sie in einer kleinen Prozessbeschreibung zusammengefasst.
Der Prozess besteht aus den folgenden Schritten:
Allgemeine Vorbereitungen für den Einsatz von Qualitätsmetriken
Qualitätsziele festlegen
Um die mit Metriken erzeugten Qualitätskennzahlen für Ihre Spezifikation beurteilen zu können, ist es besonders wichtig, sich vorher Gedanken darüber zu machen, welche Ergebnisse Sie für welche Metriken als „gut“ bewerten. Denn nur anhand eines Vergleichs zwischen festgelegten Soll- und gemessenen Ist-Werten lässt sich die Qualität einer Spezifikation wirklich einschätzen.
Messleitfaden aufstellen
Es ist äußerst nützlich, einen Leitfaden aufzustellen, der den Prüfern den Ablauf einer Messung detailliert vorschreibt. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass Ihre Anforderungen während einer Qualitätsmessung korrekt auf die von Ihnen gewählten Kriterien geprüft und bewertet werden, und dass die Qualitätskenzahlen mit den richtigen Formeln berechnet werden.
Prüfzeitpunkte festlegen
Da sich Spezifikationen während ihrer Entstehung häufig verändern, ist es sinnvoll, Qualitätsmessungen einer Spezifikation nicht nur einmalig, sondern zu projektgebundenen Meilensteinen wie dem Ende einer Iteration oder nach festen Intervallen durchzuführen. Dies eröffnet Ihnen die Möglichkeit, die Qualität Ihrer Spezifikation über die gesamte Projektlaufzeit zu verfolgen.
Prüfer festlegen
Das Aufstellen eines Messleitfadens alleine garantiert Ihnen noch keine genauen und vor allem keine konstanten Messergebnisse. Das beruht auf unterschiedlichen Kenntnisständen potenzieller Prüfer. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig festzulegen, welche besonderen Qualifikationen ein Prüfer für Einsatz in Ihren Projekten aufweisen muss, und Prüfer auszuwählen, die diese Vorgaben auch erfüllen. So ist es nützlich, wenn ein Prüfer für natürlichsprachliche Anforderungen auch fundiertes Know-How im Bereich Requirements Engineering und, noch genauer, im Spezifizieren von Prosa-Anforderungen besitzt.
Vorbereitung einer Qualitätsmessung
Prüfbarkeit feststellen
Bevor mit der Messung einer Spezifikation begonnen werden kann, empfehlen wir Ihnen eine Prüfung des Dokumentes. Dabei wird anhand von Kriterien, die von Ihnen vorgegeben werden geprüft, ob eine Qualitätsmessung zum jetzigen Zeitpunkt mit dem vorliegenden Dokument Sinn ergibt, oder nicht.
Ein Beispiel für ein solches Kriterium könnte sein:
„Eine zu messende Spezifikation muss natürlichsprachliche Anforderungen enthalten.“
Stichprobenumfang berechnen
Um den Aufwand für die Qualitätsmessung einer Spezifikation zu reduzieren, ist es ab einer Menge von 50 Anforderungen zu empfehlen, die Messung auf repräsentative Stichproben zu reduzieren. Für den Einsatz im Requirements Engineering eignen sich, neben den allgemein bekannten Verfahren zur Berechnung eines Stichprobenumfangs, die aus einem Teilbereich der Mathematik, der sogenannten Stochastik stammen, praxisorientierte Modelle wie die AQL-Methode (acceptance quality limit), die häufig im produzierenden Gewerbe Anwendung findet.. Hierbei wird, abhängig von der Anzahl an Anforderungen und der geforderten Genauigkeit, mit Hilfe von Tabellen ein repräsentativer Stichprobenumfang vorgegeben.
Stichprobe ziehen und dokumentieren
Wurde ein repräsentativer Stichprobenumfang berechnet, stehen Ihnen nun mehrere Optionen offen, wie Sie Ihre Anforderungen aus Ihrer Spezifikation auswählen. Ein gewisser Zufallsfaktor kann an dieser Stelle definitiv von Nutzen sein. Sie sollten allerdings bedenken, dass bei reiner Zufallsauswahl auch die Möglichkeit besteht, dass interessante Bereiche einer Spezifikation bei der Messung außen vor gelassen werden. Aus diesem Grund empfehlen wir Ihnen, Mischverhältnisse festzulegen, durch die Sie garantieren, dass beispielsweise auch einige neu hinzugekommene Anforderungen geprüft werden.
Durchführung einer Qualitätsmessung
Stichprobenanforderungen beurteilen und bewerten
Der wohl zeitintensivste und wichtigste Teil einer Qualitätsmessung ist das Beurteilen und Bewerten einzelner Anforderungen oder anderer Betrachtungsgegenstände nach den im Messleitfaden beschriebenen Vorgaben. An dieser Stelle untersucht der Prüfer die Stichprobe auf Einhaltung der vorgegebenen Qualitätskriterien. Wichtig ist dabei, dass Kontextinformationen aus der kompletten Spezifikation in die Beurteilung einfließen, um beispielsweise implizite Anforderungen auch tatsächlich als solche identifizieren zu können.
Qualitätskennzahlen erzeugen
Wurden die Stichprobenanforderungen auf Basis des Messleitfadens beurteilt und bewertet, ist das Erzeugen der Kennzahlen ein äußerst einfacher Schritt, der bei Verwendung einer softwarebasierten Messvorlage auch automatisiert durchgeführt werden kann. In diesem Fall wird nur noch das Ergebnis der Bewertung in die vorgegebene Formel der Metrik eingetragen und die Qualitätskennzahl berechnet.
Prüfbericht verfassen
Es ist sehr zu empfehlen, dass sich Prüfer Notizen zum Verlauf einer Messung machen und diese zu einem Prüfbericht zusammenfassen, so dass aus eventuellen Problemen während einer Messung gelernt werden kann. Zudem kann so auch der Prozess zur Sicherung der Qualität im Requirements Engineering kontinuierlich verbessert werden.
Anmerkungen der Prüfer zur Spezifikation helfen Ihnen außerdem dabei, herauszufinden welche konkreten inhaltlichen Probleme vorliegen, und geben Ihnen die Möglichkeit abzuschätzen, ob die Qualität der gezogenen Stichprobe vom Gesamteindruck der Spezifikation abweicht.
Nachbereitung einer Qualitätsmessung
Messergebnisse dokumentieren
Sind Qualitätsmessungen (wie oben bereits empfohlen) zu mehreren Zeitpunkten in Ihrem Projekt durchgeführt worden, eignet sich besonders die sogenannte Qualitätsregelkarte für die Dokumentation der Messergebnisse. Sie stellt den Verlauf der Qualität einer Spezifikation über die Projektlaufzeit grafisch dar und eröffnet Ihnen dadurch weitere Beurteilungsmöglichkeiten.
Messergebnisse beurteilen
Die Beurteilung der Messergebnisse kann auf Basis einer langfristigen und/oder kurzfristigen Betrachtung durchgeführt werden. Die kurzfristige Variante ist hierbei der direkte Vergleich zwischen den Soll- und den Ist-Werten der Qualitätskennzahlen, der sofort nach einmaliger Durchführung einer Messung gezogen werden kann.
Die Verwendung einer Qualitätsregelkarte eröffnet Ihnen zudem die Option, langfristig Trends zu erkennen und damit frühzeitig reagieren zu können.
Maßnahmen zur Steuerung der Qualität durchführen
Entspricht die gemessene Qualität Ihrer Spezifikation nicht den gesetzten Zielen oder zeigt die Qualitätsregelkarte eine Tendenz zu sich verschlechternder Qualität, ist es wichtig, zeitnah Maßnahmen zur Anpassung der Qualität durchzuführen.
Eine mögliche Maßnahme könnte sein, Ihre Anforderungsautoren an einem der zahlreichen Trainings der SOPHISTen teilnehmen zu lassen, um das vorhandene Know-How in der Disziplin des Requirements Engineering zu verbessern.
Haben Sie sämtliche Teilschritte dieses Prozesses in Ihre Projekte integriert, liegt die Qualität Ihrer Anforderungsspezifikationen in Ihren Händen, und Sie haben die Chance sie zu lenken.
In den folgenden Beiträgen der Blogserie „Nur qualitativ hochwertige Anforderungen erzeugen hochwertige Produkte“ werden einzelne Teilschritte des eben vorgestellten Prozesses, zusammen mit Vorschlägen für eine praxistaugliche Umsetzung, detailliert vorgestellt.