In dem letzten Teil dieser Blogserie steht das Interview (das wir immer wieder als den Klassiker unter den Ermittlungstechniken[1] erleben) im Vordergrund. Wenn die Konstruktion ein ständiger Begleiter des Requirements-Engineers ist, wie wirkt er sich auf das Interview aus, das doch eigentlich neutral geführt werden sollte, um dem Interviewten seine Meinung nicht vorzugeben?
Kein Mensch lässt sich gern eine vorgefertigte Meinung aufzwingen…[2]
Für ein Interview kann der Requirements-Engineer offene oder geschlossene Fragen vorbereiten. Im Gegensatz zu einem Interview mit offenen Fragen, mit dem es möglich ist, die Konstruktion eines Stakeholders unbeeinflusst abzuholen, geben geschlossene Fragen dem Stakeholder bereits eine Konstruktion vor (nämlich die des Requirements-Engineers). Diese Konstruktion findet sich in geschlossenen Interviewfragen wieder. Die Fragen entwickelt der Requirements-Engineer aus seinem Wissen, das er sich im Projekt angeeignet hat. Er konstruiert sich seine persönliche Projektsituation, die sich in eben diesen Fragen wiederspiegelt. Diese Konstruktion stellt er dem Stakeholder in einem Interview vor. Der Stakeholder wiederum reflektiert das Gehörte und passt seine eigene Konstruktion aufgrund des hinzugekommen Wissens an. Anforderungen, die er anfangs hatte, können so verloren gehen oder angepasst werden. Demnach ist der Einfluss des Requirements-Engineers auf den Stakeholder und auf dessen Anforderungen bei geschlossenen Fragen größer als bei offenen Fragen. Offene Fragen sind für den Stakeholder eine Einstiegshilfe, die die Richtung des Interviews vorgeben sollen und dem Stakeholder als Sprechanreiz dienen sollen.
Doch damit nicht genug: Der Stakeholder, der die Fragen beantworten soll, verfährt genauso. Auch er hat seine eigene subjektive Vorstellung des Projektes und konstruiert seine Antworten entsprechend der Erfahrungen, die er bereits im Projektumfeld gemacht hat. Von Neutralität kann weder auf Seiten des Ermittelnden noch auf Seiten des Kunden die Rede sein.
Ohne Konstruktion geht es nicht. Dass das allerdings nicht verwerflich ist, sollte die Blogserie „Requirements-Engineering und Konstruktivismus“ zeigen. Wichtig ist der Umgang mit der Tatsache, dass ein jeder seine eigene Welt (und damit auch Anforderungen) erfindet. Gutes Requirements-Engineering ist und bleibt Kommunikation. Sie brauchen Hilfe beim Kommunizieren und Konstruieren? Nun, wir können Ihnen da eine sehr gute Firma empfehlen :-)
Requirements-Engineering und Konstruktivismus – Teil 1
Ermittlungstechniken und Konstruktivismus (Teil 2)
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Quellenangaben:
[1] Rupp, Chris und SOPHISTen, die: Requirements- Engineering und -Management – Aus der Praxis von klassisch bis agil. Hanser: München 2014. 6., aktualisierte und erweiterte Auflage. Kapitel 6.
[2] Walik: Boxing gloves. Quelle: iStockphoto.