Wir SOPHISTen sind, wenn wir einmal das hochspezialisierte Wissen auf dem Gebiet Requirements-Engineering ausblenden, ein kunterbunter Haufen von Informatikern, Lehrern, Geographen und Germanisten.
Als letztere müssen wir uns hin und wieder den Stempel „Quereinsteiger“ aufdrücken lassen. Das scheint auf den ersten Blick auch vollkommen in Ordnung. Doch wenn sich ein Germanist mit dieser Aussage tiefer auseinandersetzt, entsteht folgende, interessante Analogie: Als stereotypisierter Bücherwurm schaut der Germanist erst einmal aus einer Mischung aus Gewohnheit und Sehnsucht in das Wörterbuch der Brüder Grimm. Dort findet sich unter quer [1] u. a. die folgender Eintrag:
dem geraden und rechten entgegengesetzt, verkehrt, verdreht, verschroben (s. querkopf):
Nun lässt sich ein waschechter Quereinsteiger von diesem Eintrag natürlich nicht erschüttern! Warum? Germanisten, die als REler unterwegs sind, würden wir nicht als Querköpfe bezeichnen. Vielmehr haben sie wie auch andere Quereinsteiger die Möglichkeit, Wissen zu transferieren und Vergleiche zu machen, die sie ohne „Querkopf“-Wissen nicht ziehen könnte. Davon profitieren unsere Kunden seit nun mehr über 18 Jahren.
Dazu lässt sich ein Beispiel, das zugegebenermaßen Requirements-Engineering nicht revolutioniert, das Requirements-Engineering jedoch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und es damit als Berufsfeld für Quereinsteiger greifbarer macht.
Die eben genannten Buchautoren sind zwei, uns allen (Informatiker eingeschlossen) bekannte Germanisten, deren Arbeit an die eines Requirements Engineers erinnert und die uns somit beweisen, dass sich der ebenfalls allseits bekannte Blick über den Tellerrand lohnt.
Lange glaubte die Forschung an folgendes Szenario: Die Brüder Grimm zogen von Haustür zu Haustür und ermittelten mithilfe der Befragungstechnik Interview Märchen und dokumentierten sie (und lieferten uns gleich ein sehr gutes Beispiel für die Wichtigkeit von Dokumentation mit!). Nach anschließender Prüfung und Verwaltung wurden schließlich 1812 die uns heute so vertrauten Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm veröffentlicht. Die Verwaltung der Kinder- und Hausmärchen ist ein fortwährender Prozess. Neuverfilmungen und -auflagen zahlreicher Märchen und Forschungsarbeiten [2] sind Beweise dafür.
Neuere Forschungen zeigen aber, dass sich die Brüder Grimm bei der Ermittlung ihrer Märchen als überaus geschickte Requirements Engineers bewiesen: Die Märchenstakeholder kamen zu ihnen nach Hause. Und so mancher REler würde sich dieses Szenario wünschen. Es klopft bzw. im Zeitalter der Klingel schellt eben diese und der Stakeholder tritt ein und berichtet gern und ausführlich aus seinem Erfahrungsschatz. Lästige Terminabstimmungen per E-Mail oder Telefon blieben den Brüdern somit nicht nur aus technischen Gründen erspart. Kurzfristige Terminänderungen oder gar Absagen (heutzutage zwei Phänomene, die sich besonderer Unbeliebtheit bei RElern erfreuen) lagen nicht zu schwer im Magen. Man war ja in den eigenen vier Wänden und konnte eine Tasse Tee zur Beruhigung trinken.
Diese kleine Analogie bringt Sie nun vielleicht zum Schmunzeln und vielleicht fallen Ihnen auch weitere Parallelen zu anderen, auf den ersten Blick völlig abstrusen (Wissenschafts-)gebieten auf? Wenn ja, freuen wir uns zum einen, dass dieser Blogeintrag dazu beigetragen hat und zum anderen, über jedwede Kontaktaufnahme und Analogie Ihrerseits.