Im ersten Teil von „Die Normenvielfalt mit RE bändigen“ schrieben wir über die Herausforderungen, die sich ergeben, wenn Sie medizinische Großgeräte vor allem für den Weltmarkt entwickeln wollen. In diesem zweiten Teil möchten wir Ihnen nun Wege aus dem Normendschungel aufzeigen.
Sobald Sie sich in einem hochregulativen Markt wie dem für medizinische Großgeräte bewegen, sollten Sie innerhalb Ihres Unternehmens eine Abteilung etablieren, die sich mit der Verwaltung der für Sie relevanten Normen beschäftigt. Diese Normenverwaltung sollte es sich zum Ziel machen, die relevanten Normen zu kennen, auf Relevanz für das zu entwickelnde Produkt zu bewerten und aus den Normen Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt oder den Entwicklungsprozess abzuleiten.
Wenn die initiale Phase eines neuen Projektes beginnt, teilt das Marketing der Normenverwaltung die anvisierten Zielmärkte sowie die angestrebten Produktkonfigurationen mit. Die Normenverwaltung unterscheidet zwischen Produktnormen für das Produktmanagement und Prozessnormen, die das Qualitätsmanagement betreffen.
Aus Produktnormen werden Produktanforderungen generiert, die in die Entwicklung gegeben werden. Hier ist es wichtig, dass bei der Generierung alle Zielmärkte korrekt berücksichtig werden, damit Unterschiede in Grenzwerten richtig in Anforderungen verpackt werden.
Prozessnormen, die im Qualitätsmanagement landen, enthalten Prozessanforderungen. Diese werden durch die Qualitätssicherung in den Entwicklungsprozess getragen oder durch das Risikomanagement in Form von Risikoanalysen umgesetzt. Aus diesen Risikoanalysen leiten sich neue Produktanforderungen ab, die wieder in den Entwicklungsprozess einfließen.
Doch nicht nur der Weg von der Normenverwaltung in die Anforderungen und somit in die Produkte ist nötig, sondern auch der umgekehrte Weg – aus der Entwicklung zurück zur Normenverwaltung. Diese Rückkopplung unterscheidet sich, je nachdem, ob Sie selbst entwickeln oder ausschreiben.
Wenn Sie selbst entwickeln, fließen die Anforderungen aus den relevanten Normen entweder direkt über die Normenverwaltung (in Form von Produktanforderungen) oder über das Qualitätsmanagement (in Form von Prozessanforderungen) in den Entwicklungsprozess. Wenn sich nun in der Entwicklung jene Anforderungen, die aus der Normenverwaltung kommen, ändern, weil bestimmte Messgrößen in der Entwicklung nicht eingehalten werden können, ist eine Weitergabe dieser Informationen an die Normenverwaltung nötig. Die Organisationseinheit Normenverwaltung sollte in den gesamten Entwicklungsprozess eingebunden werden, damit die Rückkopplung sichergestellt wird, wenn in der Entwicklung etwas zwar korrekt, jedoch anders als in der Norm vorgesehen umgesetzt wird. Dann muss eine Bewertung der Auswirkung auf die Prozessnormen vorgenommen werden, und gegebenenfalls muss der Qualitätsmanagement-Prozess über Qualitätssicherung und Risikoanalyse erneut durchlaufen werden. Nur so können Sie sicherstellen, dass Ihr fertiges Produkt auch normenkonform ist.
Anders gestaltet sich die Lage, wenn Sie nicht selbst entwickeln, sondern den Entwicklungsauftrag an einen externen Zulieferer vergeben. Wenn Ihr Einkauf dann den Zulieferer beauftragt, das Produkt auf eine bestimmte Weise umzusetzen, müssen auch die Anforderungen aus den relevanten Normen mit an den Zulieferer gegeben werden. Dies kann nur über den Weg der Produktanforderungs-Spezifikation und -Analyse geschehen.
Die Rückkopplung in die Normenverwaltung erfolgt ähnlich wie im vorherigen Fall, jedoch hat der Prozess noch einen Nachteil, wenn Sie ausschreiben: Der Zulieferer muss zurückmelden, wie das Produkt durch ihn konkret umgesetzt wurde, und Ihr Qualitätsmanagement muss die internen Prozesse des Zulieferers in Form eines Audits abnehmen. Auf diese Weise hat der Zulieferer direkt Kontakt zu Ihrem Qualitätsmanagement. Dies bedeutet, dass neben der Entwicklungsabteilung auch der Zulieferer direkten Kontakt zum Qualitätsmanagement haben muss.
Wo aber sollte nun die Normenverwaltung im Organigramm stehen?
Die Normenverwaltung sollte im Organigramm so platziert sein, dass sie sowohl für den Einkauf, als auch für die Entwicklung und das Qualitätsmanagement eine veritable Informationsquelle darstellt. Als Konsequenz daraus sollte die Normenverwaltung an zentraler Stelle im Organigramm angesiedelt sein, denn nur dann kann sie entsprechend stark gegenüber dem Produktmanagement, der Entwicklung und dem Qualitätsmanagement auftreten.
Für die normenkonforme Entwicklung ist ebenfalls extrem wichtig, dass den einzelnen Disziplinen des Requirements Engineerings ausreichend Beachtung geschenkt wird, denn sowohl die Erhebung als auch die Dokumentation und die Verwaltung der Normen finden sich in den einzelnen Tätigkeiten der Normenverwaltung wieder. Somit gewinnt das Requirements Engineering eine noch höhere Bedeutung als in weniger kritischen oder regulativen Märkten.