Lieber Leser,
einen Blog zu erstellen und ihn zu pflegen, bedeutet eine Spur im Internet zu hinterlassen. Es geht um die Verbreitung von Informationen, die man für sich selbst als wichtig erachtet. Doch was sind Texte, die keiner liest?
In diesem Blogeintrag geht es um eine Geschichte, die erzählt wird… Und wie bei jeder spannenden Geschichte kommt die Auflösung erst ganz zum Schluss…
„Und was machst du so?“, fragte Claudie mich. „Ich arbeite als Requirements-Engineer bei SOPHIST“, verkündete ich selbstbewusst und mit voller Überzeugung. Es ist nicht immer einfach menschliches Denken, Emotionen und Reaktionen vorauszusehen. Früher gelang mir das nicht so gut. Mit einem konnte ich aber immer rechnen: „Was bitte schön ist denn Requirements-Engineering?“, fragte Claudie mich mit einer fast schon kindlichen Neugierde. Ihre Augen leuchten dabei. Es ist fast immer dieselbe Reaktion, die die meisten Menschen an den Tag legen, wenn Sie das Wort Requirements-Engineering hören. Sie hinterfragen, sind neugierig und haben die Bereitschaft etwas Neues zu lernen. Wie immer hatte ich natürlich die passende Antwort parat: „Meine Aufgabe ist das Erheben, Dokumentieren, Prüfen, und Verwalten von Anforderungen – total spannendes Thema“, antworte ich mit ruhiger Stimme. „Es geht um Systementwicklung, den Problemen, die damit verbunden sind und deren Lösungen“. Bevor ich mich versehen kann, finde ich mich auch schon im Kano-Modell wieder, der Problematik, dass Stakeholder nie in der Lage sind ihre Wünsche zu äußern und den damit verbundenen Ermittlungstechniken, die man als SOPHIST tagtäglich anwenden muss. Während des Gesprächs signalisiert Claudie Interesse. Sie gestikuliert und stellt Fragen, nickt bei meiner Erklärung von Basisfaktoren und Leistungsfaktoren und schmunzelt als es um argumentatives und narratives Wissen geht. „Komm schon, das erfindest du doch gerade!“, sie lächelt dabei und ihre schwarzen Haare fallen ihr ins Gesicht als sie sich leicht zu mir nach vorne beugt. „Nein!“, antworte ich. „Eine meiner Aufgaben ist es, unter die Oberfläche zu schauen, egal ob bei Systemen oder Menschen“.
Zugegeben es ist ein wenig schwer meinen leicht ausgeprägten Narzissmus unter Kontrolle zu halten ohne dabei unsympathisch rüber zu kommen. Bin ich in diesem Moment von mir überzeugt? Definitiv!
„Dann darf ich dich mal was fragen?“, erwiderte sie plötzlich. In diesem Moment spüre ich wie sich die Stimmung ändert. Ihr Blick wirkt durchdringend, sie nimmt eine aufrechte Sitzhaltung ein. Es gibt diesen Moment kurz vor einem Sturm. Man steht vor einer dunklen Gewitterfront, der Wind nimmt zu und am Horizont zucken schon die ersten Blitze. Man merkt, dass gleich ein Unwetter über einen herein bricht. „Klar schieß los!“, antworte ich. „Du bekommst von mir immer eine ehrliche Antwort.“ Ich liebe diesen Moment. Vorbei mit all der Gefechtsfeldlyrik – Theorie wird in die Praxis umgesetzt. Gleich jetzt und gleich hier. Inzwischen sind wir jedoch nicht mehr alleine mit unserer Konversation. Das Pärchen am Nachbartisch beobachtet uns schon eine ganze Weile, ich spüre den „dritten Mann“ im Nacken. Dennoch stelle ich mich jeder Herausforderung. Jetzt erst Recht!
„Hast du schon mal Speeddating gemacht?“, fragt sie mich leicht zögerlich. Zugegeben ich habe mit jeder Frage gerechnet – damit nicht! „Nein, aber schon davon gehört!“, antworte ich wahrheitsgemäß. Die erste Synapse zündet in meinem Gehirn. „Stell dir mal vor, du hast nur 5 Minuten Zeit jemanden kennenzulernen. Welche Fragen würdest du ihm stellen?“. Ich spüre wie mein Puls anfängt zu rasen, meine Hände werden kalt, es ist nicht mehr eine Synapse, die zündet, sondern alle gleichzeitig. Elektrische Impulse werden in chemische Signale umgewandelt. Das neuronale Gewitter lähmt mein Reaktionsvermögen. Die Blicke vom Nachbartisch geben mir den Rest. Bin ich in diesem Moment noch von mir überzeugt? Definitiv nicht!
„Gib mir mal kurz eine Minute Zeit bitte“, antworte ich. Wie in einer Schachpartie verfalle ich in eine kurze hochkonzentrierte Phase. Ermittlungstechniken schießen durch meinen Kopf. Ich befinde mich nicht mehr in der Bar neben Claudie sondern beim Speeddating. Ich fühle mich direkt mit der Situation konfrontiert. Ich stelle mir vor, wie ich da sitze, eine attraktive Person setzt sich zu mir an den Tisch und ich habe 5 Minuten Zeit sie kennenzulernen. „Hallo ich bin der Marco, darf ich mit dir mal Brainstorming machen?“ Nein! Nicht so gut… Das neuronale Gewitter hält an. Jetzt kommt gleich noch die Wirbelsturmwarnung. Beobachtungstechniken fallen wohl auch aus dem Raster und einen Fragebogen habe ich auch nicht dabei. Die Minute ist vorbei. Ich sitze wieder in der Bar. Claudie schaut mich erwartungsvoll an und auch das Pärchen rechnet mit einer aussagekräftigen Antwort. Ich schwitze!
„Mir geht es in erster Linie darum, an das unterbewusste Wissen der Person heran zu kommen und darüber hinaus möchte ich diese auch von mir beeindrucken“, antworte ich endlich nach meiner Schweigeminute. Claudie schaut mich immer noch scharf an. Es gibt keinen Masterplan in dieser Situation – nichts, was man quantitativ erfassen könnte. Claudie will eine Antwort – keine Versuchserklärung der Laswell-Formel.
Die einzige Möglichkeit für mich in diesem Moment ist meine subjektive Meinung, schön verpackt in einer Metapher. „Naja, bewusstes Wissen beim Speeddating ist für mich uninteressant“. „Argumentatives Denken fällt auch aus dem Rahmen“. „Jeder studiert beim Speeddating die gängigsten Antworten auf die gängigsten Fragen“, analysiere ich laut für sie zum Mitdenken. Claudie nickt. Sie kennt diese Situation. „Spätestens beim 5 Typen sind es immer dieselben Fragen“, argumentiert sie. „Wie heißt du? Wo wohnst du? Wo siehst du dich in 10 Jahren?“ Zusammen taufen wir diese Phase „Das Vorstellungsgespräch“. „Mir ist es in erster Linie wichtig, ob der fremde Mensch mir gegenüber ehrlich ist“, antworte ich. „Meine erste Frage wäre deshalb: „Hast du schon mal jemanden in voller Absicht angelogen?“ Claudie überlegt kurz, grinst und stimmt mir zu. „Ich sensibilisiere mit dieser Frage mein Gegenüber“, argumentiere ich, „außerdem kennen wir beide die Antwort auf diese Frage.“ Claudie grinst noch mehr. Inzwischen sitzt das Pärchen auch nicht mehr am Nachbartisch sondern direkt an unserem. „Meine zweite Frage an eine wildfremde Person wäre: „Stell dir vor, wir sitzen in einem brennenden Flugzeug, es gibt nur einen Fallschirm. Was machst du?“ Claudie schaut mich fragend an und steigt direkt selbst auf die Frage ein. „Ich nehme den Fallschirm natürlich!“, ruft sie laut. „Haben wir unsere Kinder mit an Bord?“. „Für die würde ich nämlich auf den Fallschirm verzichten“. „Warum?“, flüstere ich. Auf jedes Argument von ihr erwidere ich mit einem Gegenargument. Sie geht aus sich heraus, agiert emotional und benutzt das volle Arsenal der Gestik und Mimik, um ihren Standpunkt darzulegen. Inzwischen ist mein Puls wieder normal. Die Gehirnströme verzeichnen normale Aktivität. Entspannt falle ich in die schwarze Ledercouch und genieße mein kühles Bier. Ich lasse mein Gegenüber schwitzen. Nach 15 Minuten unterbricht sie mein kleines Experiment. „Was soll eigentlich diese dumme Frage?“. Ihre Augen leuchten, meine Argumentation ist für Sie unverständlich. Sie ist fast schon sauer. „Hab ich frei erfunden“, antworte ich mit ruhiger Stimme und grinse dabei. Ich erkläre ihr die Situation künstlich kreiert zu haben. „Ich habe dich mit einer Geschichte konfrontiert, auf die man sich nicht vorbereiten kann.“, argumentiere ich. „Auf diese Art und Weise weiß ich jetzt was mein Gegenüber denkt und fühlt“. „Damit würde ich narratives Denken und implizites Wissen einer fremden Person ermitteln“. Claudie strahlt und grinst plötzlich über beide Ohren. „Darf ich dich noch was fragen?“…
„Nun ja“, wird sich der werte Leser unseres Blogs denken. Schöne Geschichte – aber was hat das mit Requirements-Engineering zu tun?
Auf der ständigen Suche nach neuen Ermittlungstechniken bin ich neulich auf „Das Triadengespräch“ gestoßen. Eine besondere Art des Storytellings. Ein Triadengespräch ist eine Dialog basierte Methode, zur Weitergabe von explizitem und implizitem Wissen, an der drei Personen teilhaben. Ein Erzähler (meine Rolle in dieser Geschichte), ein Zuhörer (ein Mädchen namens Claudie) und ein Requirements-Engineer (in diesem Fall das Pärchen am Nachbartisch).
Neugierig geworden?
Dann seien Sie unbedingt in der nächsten Woche mit dabei, wenn diese neue Ermittlungstechnik ausführlich erklärt wird, die Vor-, und Nachteile analysiert werden und erzählt wird wie es mit Claudie weiterging.
Falls Sie Kritik, Interesse am Thema oder Ihre Ideen mit uns teilen möchten, schreiben Sie uns an heureka@sophist.de