Damals, als ich noch jung war, da hab ich Germanistik fürs Lehramt studiert. Bei dem Studium ging es natürlich auch sehr stark um Pädagogik und Didaktik, und damit um die Frage „Wie schaffe ich eine Atmosphäre, in der Lernen ermöglicht und unterstützt wird?“. Mit der gleichen Fragestellung finde ich mich heute, acht Jahre später, wieder konfrontiert. Wenn ich in einem Unternehmen eine neue Methodik, ein neues Werkzeug, oder gar einen neuen Prozess einführen möchte, muss ich mich zwangsläufig fragen, wie die Mitarbeiter den Umgang damit am Effektivsten erlernen können und was ich und andere dafür tun können.
Eine Einführung ist immer eine Veränderung von bereits Bestehendem. Damit ist sie immer verbunden mit einem Umlernen – dem Sich-Lösen von Altem, Liebgewonnenen und dem Erlernen von Neuem, das vielleicht auf den ersten Blick suspekt erscheint. Hier wird von den Mitarbeitern viel verlangt. Wie bringe ich sie nun also dazu, das Althergebrachte, mit dem sie sich zum Großteil wohl und sicher fühlen, zugunsten des Neuen aufzugeben?
Sicher, einen Stein im Brett hat man schon, wenn die Mitarbeiter mit der momentanen Methode oder dem momentanen Tool auch nicht 100% zufrieden sind. Je höher der Leidensdruck, desto höher die Chance, dass Veränderungen positiv aufgenommen werden. Öfter als das ist es mir allerdings in meiner Praxis widerfahren, dass selbst bei bislang augenscheinlich vorhandener Unzufriedenheit auf einmal das alte Tool doch ganz passabel war und man gar nicht einsah, was damit nicht in Ordnung sein soll, sobald die Evaluation und Einführung eines neuen angekündigt wurde. Menschen sind doch seltsam… Jedenfalls führt uns das wieder zurück zum Problem: Wie bringen wir sie dazu?
Ich bin überzeugt, dass hier das Gleiche gilt, das ich mir in der Lehrerausbildung verinnerlicht hatte: Wo Angst herrscht, ist kein Platz für Lernen, höchstens für Dressur, für stures Konditionieren. Sind aber Mitarbeiter, die nur stur (und wahrscheinlich mehr oder weniger unwillig) Regeln befolgen ohne deren Hintergründe erfasst zu haben, wirklich das, was wir im Unternehmen wollen? Erfahrungsgemäß befreien sich diese Mitarbeiter, sobald sich die Gelegenheit ergibt, von diesen, ihnen aufgezwungenen Regeln, z.B. indem dann, wenn keine Gefahr herrscht, ertappt zu werden, die Regeln ignoriert werden oder indem sie gelegentlich absichtlich falsch interpretiert werden. Die Erfahrung zeigt auch, dass solche Mitarbeiter kaum fähig sind, hier manchmal nötige Transferarbeit zu leisten und die Regeln in einem leicht geänderten Kontext anwenden zu können – Dinge die dreierlei erfordern:
1. Das Erkannt-haben der Absicht hinter den Regeln, also des
Großen Ganzen,
2. das Mitdenken (dürfen) des Mitarbeiters und
3. die Identifikation des Mitarbeiters mit den Regeln und den damit
verfolgten Zielen.
Um das zu erreichen, muss Mitdenken gefördert werden. Echtes Lernen funktioniert am Besten in einer stressfreien Umgebung. Bei der Entscheidung für die Einführung einer neuen Methode oder eines neuen Werkzeugs war sicher das Bewusstsein da, dass mit vorübergehenden Effektivitätseinbußen der Mitarbeiter zu rechnen ist, da ja die bisher vorhandene Routine fehlt. Während der Einführungs- und Lernphase ist also auf jeden Fall der Leistungs- und Erfolgsdruck herunterzuschrauben. Angst vor Fehlern ist eine der Hauptbremsen für das echte Lernen. Wo keine Fehler gemacht werden dürfen, kann auch kein Ausprobieren von Neuem stattfinden. Fehler sollten seitens des Managements in dieser Phase als Lernchance angesehen werden. Hierbei kann es gut sein, jeden „ersten Fehler“ als Investition in die Weiterbildung des betreffenden Mitarbeiters zu handhaben. Somit wird der emotionale Stress vermindert und damit eine Möglichkeit geschaffen, Dinge zu reflektieren und für sich selbst anzunehmen. Genauso wichtig ist für eine stressfreie Umgebung, dass den Mitarbeitern bei größeren Problemen Expertenunterstützung angeboten wird, z.B. in Form eines Coachings, um bei der Lösung der ersten Probleme Hilfe zu erfahren und im Folgenden selbst souveräner mit dem Neuen umgehen zu können. Ansonsten könnten die Mitarbeiter sich allein gelassen fühlen, was wiederum der Identifikation mit dem Neuen abträglich ist.
Ebenfalls wichtig für die Identifikation des Mitarbeiters mit dem Neuen und für dessen Bereitschaft zum Mitdenken ist die alte Regel: „Betroffene zu Beteiligten machen“. Wenn dem Mitarbeiter die Möglichkeit eingeräumt wird, durch Kritik und eigene Ideen das Geschehen mit zu bestimmen, oder doch zumindest gehört zu werden, wird das Neue eher als etwas „Eigenes“ und damit als etwas Positives erfahren. Das Sich-Auseinandersetzen mit den Regeln führt dazu, dass deren Bedeutung im Gesamtzusammenhang erkannt wird. Dürfen nun Vorschläge geäußert werden, kann dies zu kreativen neuen Lösungen führen. Aber schon allein die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ist Gold wert. Laut Czihos folgt bei gesundem Lernen auf Schock, Konfusion, Ablehnung und Kampf immer das Fragen und Nachdenken und darauf das Ausprobieren, bevor es zu ehrlicher Akzeptanz kommen kann.
Natürlich gibt es noch viele weitere Faktoren, die das Umlernen der Mitarbeiter positiv oder negativ beeinflussen können. Da mein Blog-Eintrag aber ohnehin schon ziemlich lang geworden ist, belasse ich es hierbei und verbleibe für jetzt.