Organisation als Jagdhund – Die beiden Äste der Taylorwanne

Jagdhund? Komplexität des Marktes? Höchstleister? Flugunterricht für Vögel? Ok, der Zusammenhang erschließt sich natürlich nicht auf den ersten Blick. Lassen Sie sich darauf ein, schmeißen Sie die Hirnzellen an und folgen Sie den Gedanken unseres SOPHIST DAYS-Speakers Dr. Gerhard Wohland in dieser kleinen Einstimmung auf seinen Vortrag am nächsten Dienstag.

Organisation als Jagdhund – Die beiden Äste der Taylorwanne

Vorbemerkung

Einige Begriffe im folgenden Text sind vielleicht ungewohnt. Am besten man stöbert mal bei dynamikrobust.com.

Die Taylorwanne

Die grafische Darstellung des zeitlichen Verlaufs der Komplexität der Wirtschaft ähnelt in den Industrieländern dem Querschnitt einer Badewanne. Sie heißt deshalb Taylorwanne.

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Sie beginnt um 1900 mit dem absteigenden Ast. Die Komplexität der Manufaktur folgt der fallenden Komplexität der damaligen Märkte. Ähnliche Komplexität von Unternehmen und Markt ist eine wichtige Voraussetzung für hohe Produktivität. So wandelte sich die Manufaktur mit zu hoher Komplexität in den modernen Industriebetrieb mit niedriger Komplexität. Schließlich war die Komplexität so klein, dass die Unternehmen fast schon wie Maschinen organisiert werden konnten. Als zuständige Wissenschaft entwickelte sich die so genannte Betriebswirtschaft. Sie kann bald unangefochten Auskunft geben über richtig und falsch im Unternehmen. Dieses wissenschaftliche Konzept wurde Taylorismus genannt. Es wird bis heute angeboten und verkauft, allerdings mit einem wachsenden Schaden. Denn nach fast 100 Jahren haben sich die Weltmärkte so ausgebreitet, dass es zum ersten Mal in der Geschichte der Wirtschaft global eng wird. Wie zu Zeiten der lokalen Manufaktur erzeugt auch globale Enge Komplexität. Um 1980 steigt die Komplexität der Märkte wieder und zwingt die Unternehmen das Gleiche zu tun. In der Grafik dargestellt durch den aufsteigenden Ast der Taylorwanne.

Die Denkfalle

Die beiden Äste der Grafik werden oft so interpretiert, als wäre das Ab und Auf der Komplexität nur eine Frage der Richtung. Zuerst reduziert das Management die Komplexität, dann wird sie wieder gesteigert. Das ist eine gefährliche Denkfalle! Es ist richtig, dass Komplexität durch Anwendung von Wissen reduziert werden kann und wurde. Gesteigert werden kann Komplexität aber nur durch das soziale System selbst und das nur in der Lernumgebung eines komplexen Marktes.

Dieser Unterschied ist noch weitgehend unbekannt.

Die aktuellen Lösungsangebote der Beratung sind als innovativ deklarierte Methoden. Einerseits die naive Negation: „Tayloristische Elemente wie Management, Prozesse, Controlling brauchen wir nicht mehr!“ Andererseits immer wieder neue Konzepte die endlich alles richten werden, wie Holacracy, DevOps oder Industrie 4.0. Egal um was es dabei jeweils genau geht, es wäre die Anwendung von Wissen, also Reduktion von Komplexität, und damit die falsche Richtung. Auch an den bekannten Paradoxien wie: „Seid Mutig!“, „Seid Spontan!“, „Seid innovativ!“ wird deutlich, dass notwendige Haltungen nicht durch richtige Forderungen zu erreichen sind.

Die Lösung

Wenn die Komplexität der umgebenden Märkte steigt, so steigt auch die der Unternehmen und zwar aller, nicht nur die der Höchstleister. Die Komplexität von System und Umwelt auf ähnlichem Niveau zu halten ist eine Eigenschaft jeden Sozialsystems, also auch der Unternehmen. Wenn dies nicht gelingt, stirbt das System. Solange es aber lebt, ist es angepasst. Es wird mit der aktuell hohen Dynamik fertig. Manchen fällt dies allerdings viel leichter als anderen. Soweit die gute Nachricht.

Die „schlechte“ Nachricht: Bei hoher Marktdynamik kann nur noch das Sozialsystem eines Unternehmens genügend Komplexität entfalten, um Dynamikprobleme zu vermeiden. So ist die ehemals dumme Organisation, meist unbemerkt, zum wichtigsten Dynamikwerkzeug geworden. Höchstleister nutzen das. Sie brechen die Dominanz komplizierter Prozesse, reduzieren sie auf das Notwendige. Damit schaffen sie Platz für die Kompetenzen ihrer Talente auf überraschende Probleme mit Ideen zu reagieren. Das hilft, die Komplexität zu steigern.

Jede Organisation, auch die „dümmste“, reagiert auf die gesteigerte Dynamik ihrer Märkte. Sie stellt sich immer wieder lernend darauf ein. Solange aber konservatives Denken dominiert, erscheinen diese innovativen Inseln als Schlamperei und Ungehorsam. Sie werden als Quelle für innovative Organisationsentwicklung übersehen. So wird weiter versucht, der Organisation den Umgang mit Dynamik beizubringen. Das ist ähnlich grotesk wie Flugunterricht für Vögel[1].

Der Jagdhund

Unternehmen mit Zukunft sind also solche, die ihre eigene Organisation nicht mehr belehren, sondern von ihr lernen. Diese Unternehmen benutzen ihre Organisation wie ein Jäger die Nase seines Jagdhundes.

[1] Einfall von: Nassim Nicholas Taleb

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