Über das Imageproblem von Anforderungsdokumenten

Eine nicht ernstgemeinte und schon gar nicht wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Qualitätskriterien für Anforderungen und Anforderungsdokumente

Automotive, Versicherung, Medizin und so weiter und so weiter. Die Branchen, in denen wir SOPHISTen unterwegs sind, sind vielseitig und haben gleichzeitig eine Gemeinsamkeit: Sie erstellen Anforderungsdokumente. Und leider erfreuen sich diese Dokumente nicht gerade einer großen, begeisterten Leserschaft.

Dokumentation tut gut

Ohne Dokumentation geht es heutzutage dennoch kaum noch. Nach einem Besuch unseres CPRE Foundation Level Trainings [1] wissen Sie folgendes: Anforderungen haben in Projekten eine zentrale Bedeutung für die verschiedensten Projektbeteiligten. Sie dienen als z. B. als Wissensquelle und Diskussionsgrundlage. Darüber hinaus schreiben Standards oder Gesetze Dokumentation mitunter vor. Mit Dokumentation sichern sich viele also nicht nur rechtlich, sondern auch vor Wissensverlust ab. Hinzukommt, dass Systeme immer komplexer werden. Ein Blick auf Ihr Handy, pardon Smart Phone beweist dies. Doch reichen diese logischen Gründe für Dokumentation nicht aus, um Leselust anstatt Lesefrust zu generieren.

Anforderungsdokumente haben häufig ein Imageproblem – sie sind alles andere als Bestseller (und das ist in den meisten Fällen aus Geheimhaltungsgründen auch gut!). Gibt es dennoch eine Möglichkeit, einem Anforderungsdokument mehr Leben einzuhauchen? Der IREB bzw. IEEE hat es mit Qualitätskriterien für Anforderungsdokumente [2] probiert:

  • Eindeutigkeit und Konsistenz
  • Klare Struktur
  • Modifizierbarkeit und Erweiterbarkeit
  • Vollständigkeit
  • Verfolgbarkeit (Traceability)

Doch ein genauer Blick auf diese Kriterien beweist, sie lösen das Imageproblem von Anforderungsdokumenten nicht. Betrachten wir zwei der aufgeführten Qualitätskriterien: Eindeutigkeit und Vollständigkeit. Kennen Sie einen Bestseller, der eindeutig ist? Der die Leser nicht zu Diskussion und Meinungsaustausch anregt? Wohl eher nicht. Somit scheint das Qualitätskriterium Eindeutigkeit das Imageproblem von Anforderungsdokumenten eher zu unterstützen. Vielleicht verhält es sich mit dem Qualitätskriterium Vollständigkeit besser? Leider nicht. Denn ein Beststeller ist nicht in jeder einzelnen Version, die den Autor zum Haare raufen, zum Durchdrehen, zum aus der Haut fahren usw. gebracht hat, vorhanden. Vollständigkeit würde bei Bestsellern die Leser verschrecken.

Vielleicht sieht es mit den Qualitätskriterien auf Anforderungsebene [3] besser aus:

  • Abgestimmt
  • Eindeutig
  • Notwendig
  • Konsistent
  • Prüfbar
  • Realisierbar
  • Verfolgbar
  • Vollständig

Doch Sie ahnen es… Prüfbar und realisierbar? Krimis und Science Fiction-Romane hätten keine Chance. Viele Bestseller müssten überarbeitet werden, würden diese Qualitätskriterien Anwendung finden. Somit scheint es nicht verwunderlich, dass diese Qualitätskriterien Anforderungsdokumenten nicht zu Ruhm und Ehre verhelfen.

Ein Lösungsansatz zum Schmunzeln

 Einen Lösungsansatz aus dieser Misere sind neue Qualitätskriterien für Anforderungen. Diese nicht ganz ernstgemeinte Liste könnte das Imageproblem von Anforderungsdokumenten durchaus lösen oder zumindest ein wenig aufpolieren. Los geht’s:

Nummer 1: 160 Zeichen

Schreiben Sie keine ewig langen, nicht enden wollenden Anforderungen. Sie erinnern sich an die SMS? 160 sind völlig ausreichend. Falls Skeptiker nun sagen, auch mit 160 kann man noch eine ganze Menge falsch machen – richtig. Drum nutzen Sie das SOPHIST REgelwerk zur Qualitätssicherung der 160 Zeichen.

Nummer 2: Geschmacksache

Sie lesen eine Anforderung und finden die irgendwie komisch? Sie passt einfach nicht? Keine Sorge, das ist normal, denn Anforderungen sind Geschmacksache. Natürlich dürfen Sie in so einem Fall einfach still und leise die Anforderung aus der Spezifikation entfernen. Gegebenenfalls ist aber auch das Umschreiben der Anforderung auch eine Möglichkeit.

Titel: Executives At Conference Table Holding Score Cards Quelle: iStockphoto Autor: Albany Pictures

Nummer 3: Stilistische Mittel

Nur – schreiben Sie Ihre Anforderung nicht irgendwie um. Nutzen Sie stilistische Mittel. Eine Anforderung wie „Das System muss in ehemaliger Zukunft funktionieren.“ macht zwar wenig Sinn: Zukunft kann nicht ehemalig sein. „Ehemalige Zukunft“ ist ein Oxymoron – und sprachlich ein Gedicht! So eine Anforderung will einfach wieder und wieder gelesen werden. Die Chancen für ein besseres Image eines Anforderungsdokumentes standen nie besser! Vor allem, wenn Sie auch das 4. durchaus ernstgemeinte Qualitätskriterium berücksichtigen.

Nummer 4: Zeichensetzung

Anforderungsdokumente verdienen Satzzeichen. Kennen Sie folgende Situation? „Hey, wie setzt du eigentlich Kommas? – Hmm, so aus dem Bauch heraus.“ Ein Klassiker – das Bauchkomma.

Achtung: Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Ihr Bauch keine Kommas setzen kann. Weichen Sie jetzt bitte nicht auf die ebenfalls sehr beliebte Alternative „das Gefühlskomma“ aus. Auch so ein Konstrukt gibt es nicht. Schlagen Sie das Wort im Duden nach. Sie finden keinen Eintrag. Was Sie finden ist „gefühlskalt“. Und das muss doch nun wirklich nicht sein.

Titel: Top Secret Office Folder  Quelle: iStockphoto Autor: Wragg

Schon wieder ein Problem

Diese vier neuen (zur Erinnerung: nicht ernst gemeinten) Qualitätskriterien stellen die Arbeitswelt vor ein Problem: Wer kann denn heutzutage noch Kommas setzen? Wer beherrscht stilistische Mittel? Während die Politik eine Frauenquote einführt, fragen sich die Geisteswissenschaftler, wo bleibt unsere Quote? Denn sie können genau das, was alle (vorzugsweise im IT-Umfeld) cool und toll finden: Sprache und Kommunikation. Somit sind Geisteswissenschaftler die Chance für ein besseres Image, von Anforderungsdokumenten, weil es ihnen gelingt, Anforderungsdokumenten sprachliches Leben einzuhauchen.

 Fazit

Nun werden Kommas und stilistische Mittel zugegebenermaßen nicht dazu beitragen, dass Anforderungsdokumente zu Bestsellern werden. Und obwohl Anforderungsdokumente nie in diversen Bestsellerlisten zu finden sein werden, trägt sprachliches Feingefühl dazu bei, dass das Lesen eines Anforderungsdokumentes nicht zum Albtraum wird. Fallen Ihnen weitere, ernstgemeinte oder zum Schmunzeln anregende Qualitätskriterien ein? Wir sind gespannt.

 

[1] Falls Sie auch zur Gruppe „Ich habe ein Training bei den SOPHISTen besucht“    zählen möchten, finden Sie hier Informationen zu unserem Trainingsangebot.
[2] Vgl. CPRE Foundation Level – Lehrplan unter https://www.ireb.org/de/downloads/. zuletzt am 16.01.2016.
[3] Qualitätskriterien nach ISO/IEC/IEEE 29148:2011. Vgl. auch CPRE Foundation       Level – Lehrplan unter https://www.ireb.org/de/downloads/. zuletzt am 16.01.2016.

Bildquellen:

[A] Titel: Executives At Conference Table Holding Score Cards<br />
Quelle: iStockphoto<br />
Autor: Albany Pictures
[B] leicht angeändert: Titel: Top Secret Office Folder<br />
Quelle: iStockphoto<br />
Autor: Wragg

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