Malen oder schreiben – Wettstreit der Notationen Teil 2

Wie versprochen beginnen wir unsere Blog-Serie zum Thema RE & UML mit einem Beitrag zur Frage nach der richtigen Dokumentationsart in der Analyse. Sollen Anforderungen „gemalt“ (sprich modelliert) oder in textueller Form geschrieben werden?

Dass Anforderungen überhaupt schriftlich festgehalten werden müssen, ist verschiedenen Tatsachen geschuldet.

Punkt 1: Nicht jeder Projektbeteiligte besitzt die Gabe des Hellsehens und des Gedankenlesens. Ärgerlich, aber ein Team ist nur so stark wie sein schwächstes Mitglied. Somit müssen alle Kundenwünsche und alle Vorstellungen des Projektleiters auf anderem Wege verständlich und eindeutig übermittelt werden.

Punkt 2: Es gibt immer einige Beteiligte, die sich strikt weigern die 50 bis 5000 Anforderungen auswendig zu lernen. Auch das wirft ein Projekt zurück, denn nun müssen die Anforderungen nicht nur explizit geäußert, sondern auch noch dokumentiert werden.

Punkt 3: Eine rege persönliche Kommunikation im Sinne der agilen Grundprinzipien halten wir zwar auch für unerlässlich, doch wir können nicht den lieben langen Tag nur reden. Wir müssen auch mal was schaffen! Der Kunde kann nicht jedem Entwickler persönlich erklären, wie sein Wunschsystem aussieht, Projektleiter und Architekt können ebenfalls nicht jeden Tag aufs Neue ihre Vorstellungen des idealen Systems herunterbeten. Für manche Dinge bedarf es einfach einer effektiveren und nachhaltigeren Kommunikationsmethode als der direkten mündlichen Rede. Die Methode der schriftliche Verbreitung von Vorgaben und Anweisungen hat sich hierfür in den letzen Jahrtausenden recht gut bewährt.

Sicherlich gibt es noch viele weitere schlagende Argumente für die schriftliche Dokumentation von Anforderungen, doch wir wollen es dabei belassen und zum eigentlichen Thema kommen.

Malen oder schreiben? An dieser Stelle wäre eine Diskussion zwischen einem Hölenmenschen und einem alten Griechen sicherlich interessant. Sind nun Bilder oder Buchstaben die bessere Dokumentationsmethode? Leider konnte ich hierzu keine Überlieferung finden. Daher führe ich meine eigenen Mutmaßungen und Beobachtungen zum Thema Text vs. Bilder durch:

  • Der Mensch ist von Natur aus ein wenig faul. Wir alle lernen lieber 20-30 Buchstaben auswendig statt 2.000-10.000 Bildchen. Text ist einfacher, man kann mit geringen Mitteln im Grunde alles darstellen. (Der Höhlenmensch hätte die Debatte also voraussichtlich verloren.)
  • Bilder sind zwar nett anzusehen, doch nicht sehr belastbar. Der Beweis: Kaufverträge werden nicht gemalt sondern geschrieben. Unsere Gesetzbücher enthalten keine Bildergeschichten, sondern ellenlange Texte.
  •  Auf jeder Litfaßsäule und aus jeder Zeitung springen uns bunte Bilder an, um für irgendwelche Produkte oder Veranstaltungen zu werben. Warum steht dort nicht einfach geschrieben, worum es geht? Auf der Ausstellung „Plakativ“, die gerade im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gezeigt wird, habe ich gelernt, dass ein Plakat bzw. eine Anzeige lediglich 2-3 Sekunden Zeit hat, dem Betrachter die wichtigsten Inhalte zu vermitteln. Im Gegensatz dazu haben Jurastudenten 5-10 Jahre Zeit die Inhalte von Gesetzesbüchern zu verstehen.
  • Wenn ich mich mit Freunden verabreden möchte, schreibe ich Ort und Urzeit in einer SMS. Wenn ich jedoch jemanden an einem schönen Ausblick vom Gipfel eines Berges teilhaben lassen möchte, schicke ich ein Foto.

Aus diesen und ähnlichen Erfahrungen des alltäglichen Lebens, stelle ich folgende gewagte These auf:
Sprache kommt immer dann ins Spiel, wenn es um Präzision und Eindeutigkeit geht. Leider ist sie zuweilen langwierig und ermüdend.
Bilder sind nützlich, wenn es darum geht in kurzer Zeit viele Informationen zu übermitteln und weckt das Interesse der Menschen. Leider lässt sich über die Interpretation eines Bildes vortrefflich streiten.

Beide Notationsarten haben offensichtlich ihre Stärken und Schwächen. Noch offensichtlicher ist jedoch, dass sich beide Notationen vortrefflich ergänzen! Daher eine ganz eindeutige Antwort auf die Frage „Malen oder schreiben“:

Malen UND schreiben ;-)

Nehmen wir nur mal ein Beispiel: Wer behauptet eine 20-seitige textuelle Beschreibung der verschiedenen Zustände eines Systems mit allen möglichen Übergängen und sämtlichen dadurch bedingten Aktionen zu verstehen ohne sich diese in irgendeiner Weise zu skizzieren, ist entweder ein Genie oder ein unehrlicher Mensch. Wer jedoch versucht alle Informationen bezüglich der Zustände und der Aktionen mit allen Vorbedingungen und Auslösern in UML zu modellieren ist entweder ein Nerd oder ein unsterblicher Mensch mit reichlich Langeweile.

Wer in seiner Analyse also sowohl Wert auf Präzision als auch auf Effizienz legt, kommt nicht umhin beide Notationsarten zu verwenden!

Da wir nun die Vor- und Nachteile der grafischen und der textuellen Notation beleuchtet haben, möchte ich in meinem nächsten Beitrag auf die Tool-Problematik eingehen. Wir werden sehen, dass die theoretisch so ideale Kooperation der beiden Notationen durch die zur Verfügung stehenden Werkzeuge erheblich erschwert wird. (Meist handelt es sich eher um eine friedliche aber uneffektive Koexistenz.) Anschließend werde ich mich der Frage widmen, wie man trotz der Erschwernis durch die Werkzeuge eine Verbindung der beiden Notationen herstellt und somit aus der Koexistenz eine Kooperation schafft.

Wie immer sind Sie herzlich eingeladen uns Ihre Erfahrungen und Anmerkungen zu diesem Thema mitzuteilen. Wir freuen uns über jeden sachdienlichen Hinweis!

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