Wie meint es der eine und wie versteht es der andere… (VII)

Mittlerweile haben Sie alle essenziellen chirurgischen Kunstgriffe zur Heilung von Anforderungen kennengelernt und können jede einzelne Anforderung mit fachmännischem Blick auf Anhieb sezieren. Damit kontrollieren Sie bereits die lebenserhaltenden Funktionen einer Spezifikation. Aber welcher Arzt prüft seine Patienten auf Herz und Nieren, um dann später feststellen zu müssen, dass doch nur ein Leistenbruch die Ursache war.

Wie Sie für Ihre Anforderungen Kardiologe und Sportmediziner zugleich sein können, verraten wir Ihnen hier.

Nachdem wir die einzelnen Satzbestandteile in den vorangegangenen Einträgen nun ausgiebig geprüft haben, wenden wir uns nun der vollständigen Anforderung als Gesamtorganismus zu. Das genaue Vorgehen können Sie folgender Regel entnehmen:


Nebensätze sind leider oftmals Auslöser von satzkörperlichen Gebrechen und sollten entfernt werden, wenn sie durch Angaben überflüssiger Informationen zu Missverständnissen und Verwirrung führen können. Dazu zählen z. B. die Sätze, die eine Begründung, Absicht oder Folge enthalten (z. B. durch „weil“, „damit“, „um“, „deshalb“ oder „so dass“ eingeleitet). Die einzigen für Ihre Anforderungen wirklich notwendigen Nebensätze sind logische und zeitliche Bedingungssätze.

Hier ein Beispiel zur Verdeutlichung:

„Um dem Bibliothekar das Erstellen einer Leihobjekt-Statistik zu erleichtern, muss das Bibliothekssystem die Verwendung eines virtuellen Assistenten anbieten.“

Der Nebensatz „Um…zu erleichtern“ stellt keine geforderte Funktionalität an das System dar und kann damit als irrelevant für die Anforderung eingestuft werden. Falls Sie Sich nur schwer von den zusätzlichen Informationen trennen können, formulieren Sie einfach einen entsprechenden Kommentar zu dieser Anforderung. So gehen die Informationen nicht verloren. Bei Anwendung der in den vergangenen Blogeinträgen vorgestellten Regeln würde die verbesserte Anforderung demnach so aussehen:

„Das Bibliothekssystem muss dem Bibliothekar die Möglichkeit bieten, eine Leihobjekt-Statistik mit Hilfe eines virtuellen Assistenten zu erstellen.“

Falls Sie den inhaltlichen Verlust von Satzgewebe zu sehr scheuen, können Sie auch schönheitschirurgisch aktiv werden, denn viele Anforderungen lassen sich ohne Informationsverlust schnell und einfach straffen.


Eine „überformulierte“ Anforderung wie

„Für den Fall, dass das Bibliothekssystem zusammen mit dem Bestellserver interoperiert, muss die Funktionsfähigkeit des Bibliothekssystems für die Benutzer mit der gleichen Funktionalität erhalten bleiben.“

lässt sich an irrelevanten Stellen kürzen und somit inhaltlich präzisieren. In ästhetisierter Form sieht das Ergebnis dann so aus:

„Solange das Bibliothekssystem mit dem Bestellserver interoperiert, muss das Bibliothekssystem die uneingeschränkte Funktionsfähigkeit für den Benutzer sicherstellen.“

Jetzt wissen Sie also, wie sich Ihre Anforderungen pflegen und verschönern, nachdem sie von Ihnen bereits Erste Hilfe erhalten haben. Der Zustand der Anforderungen ist bereits stabil, d. h. Sie haben bereits die Maßnahmen getroffen, die Spezifikation verständlich zu formulieren. Besonders bei Anforderungen sollten Sie aber den Anspruch auf Perfektion hegen, da aus ihnen schließlich Ihr zukünftiges System erwächst.

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