Wie meint es der eine und wie versteht es der andere… (III)

Erinnern Sie sich noch an den letzen Beitrag? Dort ging es um Prozesswörter, die eine Funktionalität ausdrücken, also um Verben. Verben sind in einer Anforderung von entscheidender Bedeutung und häufig der Grund für Missverständnisse und erheblichen Informationsverlust.Die relativ harmlosen Fälle dieser Informationsvernichtung sind das letzte Mal bereits besprochen worden. Heute widmen wir uns zwei hartnäckigeren Vertretern, die beides wahre Meister der Verschleierung sind.

Hohe Sprache tief gefallen

Unser erster Problemfall ist die Nominalisierung, ein Ziehkind der geschwollenen Wissenschaftssprache. Darunter versteht man ein Verb, das zu einem Nomen umfunktioniert wurde, wie z. B. die „Archivierung“. So adrett und gewandt diese Nominalisierung auch klingen mag, birgt sie doch die Gefahr der Tilgung und Verzerrung wichtiger Informationen. Nominalisierungen verpacken komplexe Prozesse zu einem einzigen Begriffspaket. Dieses Päckchen bringt Ihnen allerdings keine Freude, weshalb Sie Sich mit folgender Regel vor unliebsamen Geschenken schützen können:

 

In der Anforderung „Das System muss eine Archivierung ermöglichen“ ergibt die Auflösung der Nominalisierung das Vollverb „archivieren“. Bei Hinterfragung dieser Funktionalität können Sie die bereits besprochenen relevanten W-Fragen anwenden, um die noch fehlenden Ergänzungen zum Prozesswort zu identifizieren. Mit der Frage „Was muss archiviert werden“ könnte die verbesserte Anforderung so lauten:

„Das Bibliothekssystem muss die Daten der aus dem Bestand aussortierten Leihobjekte archivieren.“

Heimtückische Kombinationen

Noch problematischer ist der zweite Vertreter der Verzerrung. Ein sogenanntes Funktionsverbgefüge ist eine Kombination aus inhaltsarmem Verb und sinngebendem Substantiv. Redewendungen wie  „in Gang setzen“ oder „Auftrag erteilen“ vernebeln gekonnt die dahinterstehenden Informationen. Regel 4 bietet einen Ausweg:

 

Ein Funktionsverbgefüge kann, ähnlich den Nominalisierungen, gleich mehrere Funktionalitäten verschleiern. Dies verdeutlicht folgende Anforderung:

„Das System muss statistische Auswertungen zur Verfügung stellen.“

Auch hier lösen Sie nun das Funktionsverbgefüge  auf und ermitteln das Vollverb. Nun ergibt sich allerdings das Problem: „Zur Verfügung stellen“ kann sich auf die Prozesse „Erstellen“, „Anzeigen“, „Drucken“, usw. beziehen. Sie sollten jetzt für alle relevanten Prozesse, für die jeweils eines der obigen Vollverben existiert, auch eine eigene Anforderung schreiben. Die Aufspaltung einer behäbigen mit Funktionsverbgefüge bestückten Anforderung in mehrere kürzere trägt der besseren Lesbarkeit und Schärfe der kürzeren Anforderungen in jedem Fall Rechnung. Es lohnt sich also stets kurz und knackig zu formulieren und dafür ein paar Anforderungen mehr zu schreiben.

Schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert